12.1

Hauptstraße 233
Im Konzentrationslager ermordet

Denzlingen in der Zeit des Nationalsozialismus

Opfer – Täter – Widerstände

Anna Bassinger, geborene Reitzel, die Tochter des damaligen „Hirschen“-Wirts, wurde 1935 wegen ihres Bekenntnisses zu den Zeugen Jehovas verhaftet. Als sie sich nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe weiterhin weigerte, diese Glaubensgemeinschaft aufzugeben, wurde sie 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert und am 8. Mai 1942 in der Gaskammer in Bernburg/Saale ermordet.

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Anna Bassinger

wurde am 11. Oktober 1891 als Tochter des „Hirschen“-Wirts Carl Reitzel und seiner Ehefrau Wilhelmine geboren. Im Alter von 19 Jahren heiratete sie am 4. Mai 1911 in Denzlingen den Eisenbahninspektor Otto Bassinger. Dieser wurde Anfang der 1920er Jahre an den Bahnhof St. Georgen/Schwarzwald versetzt; seine Frau und die Kinder zogen mit. Dort kam die Familie 1922 mit den „Zeugen Jehovas“ in Kontakt, die damals noch „Bibelforscher“ hießen. 1923 wurde Anna selbst eine Zeugin Jehovas. Schon ein Jahr später, am 18. November 1924, starb Otto Bassinger.

Umzug nach Thüringen

1930 zog Anna mit ihrem Sohn Heinz und ihrer Tochter Anneliese nach Gera und verlobte sich dort mit Erich Conrad, einem aus Schlesien stammenden Schriftsetzer, der bei der Zeitung „Geraer Nachrichten“ arbeitete. Sie wohnte in Gera in der Reinhold-Straße 3, wo heute ein „Stolperstein“ an Anna Bassinger erinnert.


Stolperstein in Gera, Reinhold-Straße 3,
verlegt am 9.12.2013

Erich Conrad, ebenfalls Zeuge Jehovas, wohnte in der Debschwitzer Straße. Zur Heirat kam es nicht mehr, weil der Verlobte, wie viele andere „Bibelforscher“ auch, von den Nationalsozialisten verfolgt und verhaftet wurde. Tochter Anneliese, ebenfalls Zeugin Jehovas, erlitt die gleichen Repressalien. Sie heiratete 1937 in Gera.

Im Jahre 1935 wurde Anna Bassinger erstmals in Untersuchungshaft genommen, weil sie sich trotz des nationalsozialistischen Verbots nicht von ihrer Glaubensgemeinschaft lossagen wollte.
1937 erfolgte eine erneute Verhaftung und die Einlieferung in das Gerichtsgefängnis Gera. Die Anklage lautete formal: „Strafsache wegen Vergehens gegen §§ 1 und 4 der Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat.“ Gemäß diesen Paragraphen wurden verbotene religiöse Gruppierungen, Gewerkschaftsmitglieder oder Mitglieder von Parteien, die den Nationalsozialismus ablehnten, verfolgt und in sogenannte Schutzhaft genommen, die oft in den Konzentrationslagern endete.

Am 22. und 23. Juni 1938 kam es zu einer großen Verhandlung des Sondergerichts Weimar unter der Leitung des Landgerichtsdirektors Werther in Gera, bei der neun Angeklagte, unter ihnen auch Anna Bassinger und ihr Verlobter Erich Conrad, zu Haftstrafen verurteilt wurden.


Anna Bassinger
(Ende August 1929, kurz vor der
Umsiedelung nach Gera)

Ins Konzentrationslager

Anna Bassinger wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, die sie in Leipzig-Kleinmeusdorf in einem Frauengefängnis verbrachte.

Ihr Verlobter wurde zu vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und in die Haftanstalt Ichtershausen gebracht. Über Briefe versuchten die Beiden den Kontakt aufrecht zu erhalten.

Kurz vor Ablauf ihrer Haftstrafe schrieb Anna an ihren „lieben Erich“ am 12. Mai 1940 einen liebevollen Brief, der Erich Conrad aber nicht ausgeliefert wurde. Darin erzählte sie von einem Besuch ihrer Tochter Anneliese mit ihrer kleinen Enkelin, die sie im Gefängnis besuchen durften. Die kleine Roselore sei auf ihrem Arm sogar eingeschlafen. Sie freue sich sehr auf die bevorstehende Freiheit.

Da Anna Bassinger sich aber weiterhin standhaft weigerte, sich von ihrer Glaubensgemeinschaft loszusagen, wurde sie nach Abbüßung der Strafe am 23. Mai 1940 nicht entlassen, sondern im September 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. In den Lagerakten ist als Haftgrund „Bibelforscher“ vermerkt. Innerhalb von sechs Jahren wurden in Ravensbrück mehr als 132.000 Frauen aus 40 Nationen gefangen gehalten, von denen 20.000-30.000 in diesem KZ ermordet wurden.

Annas Sohn Heinz, inzwischen Offizier der Wehrmacht, bemühte sich vergebens um die Freilassung seiner Mutter. Er fiel später im Krieg gegen die Sowjetunion auf der Halbinsel Krim. Im Konzentrationslager wurde Anna Bassinger einer Arbeitsgruppe zugeteilt, die schwerste körperliche Arbeit bei jeder Witterung zu leisten hatte. Als sie bei einem Appell bewusstlos zusammenbrach, soll das Wachpersonal abgerichtete Hunde auf sie gehetzt haben, um sie zum Aufstehen zu zwingen. Aber sie war nicht mehr in der Lage aufzustehen, und so fielen die Hunde über sie her und verletzten sie schwer.

Ermordung

Nach diesem Vorfall war sie nicht mehr arbeitsfähig. Wer aber nicht arbeitsfähig war, wurde im Rahmen der Euthanasieaktion 14f13 „entsorgt“: Am 8. Mai 1942 ist Anna Bassinger in der Gaskammer in Bernburg an der Saale ermordet worden. Ihr Name ist im „Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939-1945“ eingetragen. Die Tochter Anneliese Bassinger erhielt die damals übliche Nachricht des Standortarztes, dass ihre Mutter auf Grund von Magen- und Leibbeschwerden sowie Durchfall mehrfach in Behandlung des Krankenhauses gewesen und schließlich nach Magenbluten an Herz- und Kreislaufschwäche gestorben sei. Da man der Tochter mitteilte, die Asche der Toten werde nur einige Tage aufbewahrt, machte sie sich mit ihrem Mann, Willi Winkler, auf den damals beschwerlichen Weg nach Ravensbrück. Bei ihrer Ankunft teilte ihnen das Wachpersonal mit, die Urne mit der Asche der Mutter könne ihnen nicht mehr gezeigt werden. Auf die Bitte der Tochter, die mitgebrachten Blumen zur Urne legen zu dürfen, nahm das Wachpersonal diese entgegen, soll sie aber dann in den Abfallkorb geworfen haben. Später gelangte eine Urne mit Asche (von Anna Bassinger?) nach Denzlingen und wurde im Grab ihrer Mutter Wilhelmine Reitzel beigesetzt.

Erich Conrad, Annas Verlobter, überlebte die NS-Zeit und starb in den 1970er Jahren.

 

Quellen- und Literaturangaben / CopyrightsUnterm Hakenkreuz. Terror, Verfolgung und Widerstand in Gera, hg. vom Verein Gedenkstätte Amthordurchgang (Gera 2008/2009) S. 120Zum Konzentrationslager Ravensbrück: www.ravensbrueck.de/mgr/neuEvangelische Kirchenbücher Denzlingen, Geburts- u. Taufbuch 1891Stolperstein zum Gedenken an Anna Sophie Bassinger, geb. Reitzel (Manuskript der Rede bei der Verlegung des Stolpersteins für A. Bassinger am 7.12.2013 in Gera, Reinholdstr. 3)Markus Zimmermann-Dürkop, Von Denzlingen ins KZ (Artikel in: Der Sonntag. Ausgabe Nördlicher Breisgau, vom 08.05.2005, S. 4)Katja Schmidtke, Schicksale im Straßenpflaster (Artikel in der "Thüringer Landeszeitung", Ausgabe Gera, vom 9.12.2013)Foto Stolperstein: Matthias Weibrecht, GeraFotos von Anna Bassinger aus dem Besitz von
Liesel Friedrich, Denzlingen
Dieter Geuenich - Dieter Ohmberger, Denzlingen,
Band 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (1618-1948) (Denzlingen 2009),
S. 122 f.
Sarah Helm, Ohne Haar und Namen: Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück (Darmstadt 2016)

Diese Tafel wurde finanziert von
Denzlinger Bürgern